Technische Gestaltung > Entwerfen, Ausarbeiten > Konstruktionskritik > Ablauf der Konstruktionskritik
Aus den vorangegangenen Überlegungen folgt eine Gliederung der Kritik in die im Bild dargestellten Etappen.
Dieser Algorithmus sollte unbedingt in der angegebenen Reihenfolge abgearbeitet werden, denn z. B. die Kritik konstruktiver Einzelheiten ist erst dann notwendig und sinnvoll, wenn das technische Prinzip mindestens als brauchbar erkannt wurde.
Kriterium für die Notwendigkeit und Nützlichkeit der Ermittlung und Bearbeitung der Funktionsstruktur ist die Art des technischen Gebildes, besonders seine Komplexität. Einfache, wenig umfangreiche technische Gebilde erfordern selten die Untersuchung der Funktionsstruktur.


Im Folgenden sind für die einzelnen Etappen der Konstruktionskritik die Arbeitsschritte sowie methodische Hinweise aufgeführt. Die Hinweise sind sinngemäß sowohl hinsichtlich ihres Inhalts als auch bezüglich ihrer Reihenfolge auf den konkreten Fall zu übertragen.
Etappe 1: Arbeitsschritte und methodische Hinweise für die Ermittlung von Zweck und Umgebung des technischen Gebildes
Analysiere die Aufgabenstellung bzw. das Pflichtenheft:
Beachte, dass sich Forderungen im Verlauf der Entwicklung ändern; Berücksichtige entsprechende Festlegungen und Entscheidungen
Versuche, den Ursprung und die Notwendigkeit der Aufgabe klar zu erkennen
Fixiere den Stand der Forderungen, der Grundlage für die Konstruktion des technischen Gebildes war
Formuliere den Zweck des technischen Gebildes:
Beachte, dass ein technisches Gebilde neben der technischen auch eine ökonomische und ästhetische Funktion zu erfüllen hat
Beachte, dass der Zweck eines technischen Gebildes das einzige objektive Kriterium für die Unterscheidung von Wesentlichem und Unwesentlichem ist
Analysiere die Umgebung des technischen Gebildes:
Beachte, dass die Umgebung sich mit den das technische Gebilde begleitenden Prozessen (Entwicklung, Herstellung, Transport, Umschlag, Lagerung, Nutzung, Wartung, Reparatur, Recycling, ...) ändert
Leite aus den Parametern der Umgebung die Forderungen, Ziele und Wünsche für das technische Gebilde ab. Ordne diese nach ihrer Bedeutung
Formuliere das Ziel der Konstruktionskritik:
Detailliere das Gesamtziel
Setze Schwerpunkte
Vergleiche das Ziel der Kritik mit den Forderungen der Aufgabenstellung,
Stelle Bewertungskriterien auf (Benutze dazu die Forderungen der Aufgabenstellung)
Lege die Einflusszahlen für die Bewertungskriterien fest
Unterscheide Festforderungen, Mindestforderungen, Wünsche

Etappe 2: Arbeitsschritte und methodische Hinweise für die Ermittlung des technischen Prinzips
Ermittle den Funktionsfluss im technischen Entwurf:
Suche Koppelstellen zur Umgebung
Bestimme die funktionswichtigen Ein- und Ausgangsgrößen
Verfolge den Funktionsfluss (Beachte Verzweigungen, Vereinigungen, Steuerungen, Rückkopplungen)
Unterscheide die verschiedenen Funktionszustände, besonders die Grenzfälle
Bestimme alle am Funktionsfluss beteiligten Bauelemente
Reduziere die konstruktive Ausführung auf ihre funktionswichtigen Strukturbestanteile:
Vernachlässige am Funktionsfluss nichtbeteiligte Bauelemente
Vernachlässige die Koppelstellen (feste und bewegliche Verbindungen), an denen die Mehrteiligkeit nicht funktionswichtig ist, d. h., betrachte die an diesen Koppelstellen verbundenen Teile als ein Teil
Reduziere die verbleibenden Bauelemente und Kopplungen auf ihre funktionsbestimmenden Bestandteile. Ermittle die Wirkflächen, deren qualitative und quantitative Relationen, ihre geometrischen und stofflichen Eigenschaften
Abstrahiere die Gestalt und entwickle das technische Prinzip:
Stelle die funktionsbestimmenden Bestandteile der Bauelemente und Kopplungen symbolisch durch verallgemeinerte Bauelemente dar
Erarbeite unbedingt eine Gesamtprinzipdarstellung, die alle Funktionsflüsse erfasst
Versuche, räumliche Anordnungen möglichst in der Ebene darzustellen,
Stelle ggf. Teilprinzipe symbolisch mit Angabe der Ein- und Ausgangsgrößen und der Funktionszustände dar
Überprüfe das technische Prinzip, ob es tatsächlich der konstruktiven Ausführung entspricht:

Etappe 3: Arbeitsschritte und methodische Hinweise für die Ermittlung der Funktionsstruktur
a) Bestimme die Funktionsgrößen im technischen Prinzip:
b) Abstrahiere die Struktur des technischen Prinzips:
Grenze funktionell zusammenhängende Teilsysteme zweckmäßig ab
Lege die Trennstellen so, dass die Teilsysteme die Funktion relativ unabhängig erfüllen
Strebe bei der Zerlegung bekannte Grundfunktionen an
Fixiere die Funktion der abgegrenzten Teilsysteme (Funktionsgruppen)
c) Erarbeite die Funktionsstruktur als Blockbilddarstellung:
Erfasse alle Funktionsflüsse, -zustände und deren Verknüpfungen
Ermittle die dem Zweck angemessene Abstraktionsebene und die Form für die Eintragungen (verbale, mathematische, symbolische Beschreibung der Teilfunktionen und Kopplungen)

Etappe 4: Arbeitsschritte und methodische Hinweise für die Beurteilung der Funktionsstruktur
Beurteile den Funktionsfluss auf der Abstraktionsebene eines Blockbildes:
Vergleiche den Funktionsfluss mit der geforderten Gesamtfunktion
Beurteile die Notwendigkeit und die Zweckmäßigkeit der vorhandenen Teilfunktionen und Teilsysteme
Bestimme die für die Gesamtfunktion entscheidenden Teilsysteme
Untersuche die Kopplungen der Teilsysteme. (Beachte besonders die Notwendigkeit oder Schädlichkeit vorhandener Verzweigungen, Vereinigungen, Steuerungen und Rückkopplungen. Überprüfe, ob Redundanz auftritt?)
Schreibe Vor- und Nachteile auf, vergleiche das Blockbild mit möglichen anderen; stelle selbst neue Blockbilder auf und ermittle Variationsmöglichkeiten. Kennzeichne kritische Teilsysteme und Kopplungen bezüglich der konstruktiven Realisierung

Etappe 5: Arbeitsschritte und methodische Hinweise für die Beurteilung des technischen Prinzips
Beurteile den Funktionsfluss auf der Abstraktionsebene des technischen Prinzips:
Vergleiche den Funktionsfluss mit der geforderten Gesamtfunktion
Beurteile die Notwendigkeit und die Zweckmäßigkeit der vorhandenen Teilfunktionen und Teilsysteme
Untersuche die Kopplungen der Teilsysteme. (Beachte besonders die Notwendigkeit vorhandener Verzweigungen, Vereinigungen, Steuerungen und Rückkopplungen. Überprüfe, ob Redundanz auftritt?)
Analysiere das technische Prinzip bezüglich der qualitativen und quantitativen Funktionserfüllung:
Beachte, dass jedes technische Gebilde in allen seinen geometrischen und physikalischen Größen Fehler besitzt und in allen geometrischen und physikalischen Größen durch die Umwelt beeinflusst wird
Benutze die Methode der virtuellen Abweichungen, d. h. prüfe, welche Auswirkungen gedachte, aber möglicherweise vorhandene Abweichungen des technischen Gebildes von den Sollparametern haben
Benutze dabei auch die Methode der Grenzfälle, d. h. prüfe, welchen Einfluss Grenzwerte haben (z. B. E-Modul gegen 0, Radius gegen , Reibung gegen 0 oder ), um daraus Rückschlüsse auf den Einfluss tatsächlicher Abweichungen ziehen zu können
Beachte die verschiedenen Zustände (z. B. der Bewegung, der Belastung, der Raumlage, der Temperatur usw.)
Untersuche besonders die Koppelstellen. Stelle die Frage, ob fehlende oder überzählige Freiheiten oder Unfreiheiten vorhanden sind?
Beurteile das technische Prinzip:
Fasse Vor- und Nachteile in einer Liste zusammen
Vergleiche das technische Prinzip mit anderen möglichen Prinzipen; stelle dazu selbst welche auf; ermittle Variationsmöglichkeiten
Beurteile die Originalität der Prinziplösung
Bilde aber kein abschließendes Werturteil

Etappe 6: Arbeitsschritte und methodische Hinweise für die Beurteilung der konstruktiven Ausführung
Prüfe die im Entwurf festgelegte Gestalt bezüglich ihrer Funktionserfüllung:
Prüfe baugruppenweise, beachte jedoch die Kopplungsbedingungen zwischen den Baugruppen beginne mit den funktionswichtigen Gestalt-elementen
Prüfe den Einfluss jedes Bauelements und jeder Kopplung auf die Funktionserfüllung
Beachte innere und äußere Störeinflüsse durch Funktions-, Neben- oder Fremdwirkung (z. B. Kräfte, Licht, Felder, Schwingungen), durch Verschleiß, Alterung oder Havarie, durch Änderung der Ein- und Ausgangsgrößen (z. B. Überlast, Unterspannung, Änderung der Richtung der Schwerkraft), benutze die Methode der virtuellen Abweichungen
Untersuche die Kopplungen bezüglich der erforderlichen, fehlenden oder überzähligen Freiheiten und Unfreiheiten
Untersuche die Bewegungsmöglichkeiten
Untersuche, ob nützliche oder schädliche Redundanz vorliegt, ob Anordnungen Sonderlagen oder Sonderabmessungen besitzen
Überprüfe die räumlichen Verträglichkeiten von Körpern (in Ruhe, in Bewegung), Feldern, Medien, Licht
Prüfe die Gestalt bezüglich der Forderungen aus den das technische Gebilde begleitenden Prozessen:
Beachte dabei u. a. Fertigung, Montagefähigkeit und -aufwand, Kontrolle, Prüfung, Justierung (bestimmte, unbestimmte), Toleranzen, Passungen, Werkstoffauswahl, Verschleiß, Wartung, Reparatur (Ersatz von Verschleißteilen), Einfluss auf Umwelt (z. B. Staub-, Lärm-, Gasemission), Anschlussbedingungen (Kompatibilität), Klima, Transport, Verpackung, Sinnfälligkeit der Bedien- und Anzeigeelemente, Formgestaltung

Etappe 7: Arbeitsschritte und methodische Hinweise für die Bewertung
Stelle eine Gesamtfehlerliste zusammen
Vergleiche die Fehler mit den Bewertungskriterien nach Etappe 1, letzter Punkt. Beachte die Einflusszahlen der Bewertungskriterien
Ermittle den Erfüllungsgrad für jedes Kriterium gesondert; beachte dabei jedoch ihre gegenseitige Abhängigkeit bzw. ihre Widersprüchlichkeit
Schlage Maßnahmen zur Beseitigung oder Voraussetzungen und Möglichkeiten zur Duldung von Fehlern vor
Erarbeite ein Gesamturteil
