Das moderne Konzept der Lebensdauerberechnung geht von zwei grundsätzlichen Erfahrungen aus.
- Jedes technische Erzeugnis hat eine begrenzte Lebensdauer, in der es in der Lage ist, die vom Konstrukteur beabsichtigte Funktion zu erfüllen
- Jede endliche Lebensdauer wird nur mit einer Überlebenswahrscheinlichkeit (Zuverlässigkeit)<1 erreicht
Mit diesem scheinbar pessimistischen Ansatz ist es nicht mehr möglich, ein "absolut" sicheres Erzeugnis zu entwickeln. Es ist aber möglich, ein Erzeugnis für eine festgelegte endliche Lebensdauer zu dimensionieren und dabei anzugeben, mit welcher Zuverlässigkeit das Erzeugnis diese Lebensdauer erreichen wird. Diese Quantifizierung der Gebrauchsdauer stellt einen Fortschritt in der ingenieurmäßigen Berechnung von Bauteilen dar. Den prinzipiellen Ablauf einer Nachweisrechnung nach diesem Konzept zeigt das nachfolgende Flussbild:
Animation: Modernes Konzept der Lebensdauer
Erläuterungen zum Konzept:
- Geometrie, Belastung: Die Belastungen sind in der Regel äußere Betriebskräfte. Es können aber auch Kräfte sein, die vom Bauteil selbst herrühren, wie z.B. Massenkräfte. Unter Belastungen sind ganz allgemein auch andere Einflüsse, wie z.B. Temperaturbelastungen zu verstehen, die zu einer Geometrieänderung des Bauteils führen. Aus der Geometrie des Bauteils sind jene Parameter zu entnehmen, die für die Berechnung erforderlich sind.
- Vorhandene Bauteilbeanspruchung: Die Bauteilbelastungen werden in eine Bauteilbeanspruchung B umgerechnet, so dass diese vergleichbar mit der Bezugsbeanspruchung B0 wird.
- Schadensakkumulationshypothese: Ist eine Hypothese über die Schadensentstehung und die Schadensentwicklung bis zum Versagen des Bauteils. Z.B. bildet ein Wöhlerdiagramm in dem auch die statistische Streuung des Versagens eingetragen ist, eine Basis zur Ableitung einer Schadensakkumulationshypothese. Ausführlich dazu Schlottman,Schnegas S. 56 ff [3].
- Bezugsparameter: Die drei Bezugsparameter Bezugsbelastung B0, Bezugslebensdauer L0 und Bezugszuverlässigkeit R0 sind stets als eine zusammengehörige Einheit zu betrachten und stellen einen Basispunkt einer zulässigen Beanspruchung des zu untersuchenden Bauteils dar. Als Basiszuverlässigkeit R0 wird meist eine Überlebenswahrscheinlichkeit von 90% festgelegt, was einer Ausfallrate während der Lebensdauer von 10%=100%-90% entspricht. Mit Hilfe der Schadesakkumulationshypothese können ausgehend von diesem Basispunkt andere Punkte zulässiger Belastung B mit einer zugehörigen Lebenddauer L bei einer bestimmten Zuverlässigkeit R ermittelt werden.
Nominelle Lebensdauer: Von der nominellen Lebensdauer eine Bauteils spricht man bei der Lebensdauer LR0, die das Bauteil bei eine Beanspruchung B mit der Bezugszuverlässigkeit R0=90% erreicht.
Geforderte Parameter Lerf, Rerf:
Lerf ist die geforderte Lebendauer, die das Bauteil erleben soll, ohne zu versagen.
Rerf ist die geforderte Zuverlässigkeit (Überlebenswahrscheinlichkeit), mit der das Bauteil die geforderte Lebensdauer erreichen soll. Die Wahl der geforderten Lebensdauer hängt ab von dem Schaden den ein vorzeitiges Versagen des Bauteils verursachen würde. Deshalb ist in vielen Fällen die nominelle Zuverlässigkeit nicht ausreichend. - Lebensdauer L: Die berechnete Lebensdauer L ist analog den drei Bezugsparametern B0, L0 und R0 immer im Zusammenhang zu sehen mit der zugehörigen Beanspruchung B und der zugrunde gelegten Zuverlässigkeit Rerf.
- Test: Ist die rechnerisch vorhandene Lebensdauer L größer oder gleich der erforderlichen Lebensdauer Lerf, gilt der Nachweis der Funktionserfüllung als erbracht. Ist das nicht der Fall, müssen am Bauteil Veränderungen vorgenommen werden und die Nachweisrechnung wiederholt werden, bis ein positiver Nachweis erbracht ist.
Die Auslegung von Wälzlagern ist eines der wenigen Gebiete in dem das moderne Konzept der Bauteildimensionierung nach der Lebensdauer seit Jahren erfolgreich angewendet wird. Siehe dazu auch Modul Wälzlager. Außerdem werden diese Überlegungen auf dem Gebiet der Betriebsfestigkeit bereits angewendet.